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Zukunftshoffnung Wasserstoff

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Wir sind Zeugen eines gewaltigen Wettlaufs um Lösungen für die gegenwärtige Energiepreiskrise. LGP Senior Expert Counsel Klaus Wölfer sprach mit Erich Gornik, einem der führenden Experten für Nanotechnologie und Halbleiterbauelemente in Europa, über den wichtigen Energieträger Wasserstoff und warum es sich lohnt, wissenschaftliche Erkenntnisse über politische Slogans, Schlagzeilen und kurzfristige Hypes zu stellen.

Wölfer: Inwieweit kann Wasserstoff zur Deckung des steigenden Bedarfs und vor allem zur Sicherung einer klimaneutralen Energieversorgung dienen?

Gornik: Das Problem von Wasserstoff ist derzeit, dass die Erzeugung aus der Elektrolyse sehr aufwendig ist und nur dann klimaneutral, wenn der Strom klimaneutral erzeugt wird. Es gibt noch ein zweites Problem, dass sehr viel destilliertes Wasser verbraucht wird, das vorher mit sehr viel Energie gereinigt werden muss. Das macht das Destillieren und damit auch die Wasserstoff-Erzeugung teuer. Ich gehe aber davon aus, dass neue Verfahren mit neuen Katalysatoren deutlich billiger werden können. Diese sind derzeit noch im Forschungsstadium und es wird noch einige Jahre dauern, bis sie industrielle Anwendungen finden. Man kann wahrscheinlich auch mit speziellen Algen Wasserstoff aus Wasser gewinnen, aber das sind neuartige Verfahren, die noch 5 bis 10 Jahre brauchen werden.

Es gibt eine europäische Wasserstoff-Strategie. Manche sagen, dass diese in gewisser Weise bereits durch das neue Anti-Inflations-Gesetz der USA überholt wird. Denn Amerika bietet durch massive Steuerbefreiungen große Anreize für die Produktion von Wasserstoff. Während in Europa sehr strenge und sehr einschränkende Bedingungen an die Förderung geknüpft sind, wird in den USA zum „grünen“ Wasserstoff eifrig geforscht, um Durchbrüche zu erzielen.

Dem kann ich nur zustimmen. Amerika ist hier viel flexibler und scheinbar auch besser beraten als Europa, denn Europa behindert sich durch seine puristische Art enorm. Ich glaube, der US-Weg ist genau der richtige. Wir sollten nicht komplett aus den fossilen Kraftstoffen aussteigen, sondern einen gewissen Anteil verwenden, da es nichts Besseres gibt. Es wird nie Kraftstoffe geben, die in der Energiedichte besser sind. Dafür kann man ja CO2 binden, um klimaneutral zu sein, das ist durchaus möglich. Und die USA wird Europa davonlaufen, wenn sich Europa nicht innerhalb der nächsten 2 Jahre auf irgendein Programm einigen kann.

Mehrere große europäische Player wie Deutschland behindern sich vielfach selbst durch ihren negativen Zugang zur Nuklearenergie und durch überambitionierte, unrealistische Vorgaben. Frankreich als zweiter großer Akteur hat den Vorteil, schon seit langem auf Nuklearenergie zu setzen und hat unter Präsident Macron auch eine starke Förderung für die Wasserstoff-Forschung auf die Beine gestellt. Kann Frankreich, was die Forschung und Durchbrüche anlangt, Europa – ich will nicht sagen substituieren – aber doch führen und anleiten? Und sollten wir uns z.B. in Österreich daran orientieren?

Das kann ich so bestätigen. Frankreich hat durch den großen Anteil an Kernenergie zunächst einmal eine Basisversorgung mit Strom. Falls man durch Solarenergie, wo Frankreich durch den Süden viel besser aufgestellt ist als Deutschland, zusätzlichen Strom erzeugt, kann man natürlich zum Teil auch den Strom aus Kernenergie zur Erzeugung von Wasserstoff nehmen. Wasserstoff ist sozusagen ein Energiespeicher, der dann vielfältig verwendet werden kann. Ich glaube, dass Frankreich die richtige Strategie hat, um in Europa eine Vorbildwirkung zu erzielen.

Es gibt ja schon Kooperationen zwischen der österreichischen und der französischen Industrie. Ich habe in Paris einen H2 Racing Truck des LKW-Herstellers Gaussin mit Beiträgen von AVL List gesehen – welche Zukunft haben solche Technologie-Partnerschaften?

Ich weiß von der Firma List, dass sie eine extrem effiziente Kraftstoffzelle gebaut haben, die aber stationär ist, mit sehr guten Daten in puncto Beständigkeit und Wirkungsgrad. Dieses System ist industriell einsetzbar. Ich gehe davon aus, dass sich die Entwicklungen von Wasserstoffantrieben für Lastkraftwagen, also größeren Einheiten, erfolgreich in den nächsten Jahren umsetzen lassen werden.

Ein Problem könnte dann die Versorgung werden, denn das Tankstellennetz gilt als kostspielig und ist aktuell noch eher großmaschig ...

Das Tankstellennetz für Wasserstoff ist sicher billiger als das elektrische Tankstellennetz, welches im Aufbau in den Kosten deutlich höherliegt. Das Wasserstoff-Netz kann ja Teile des bisherigen Netzes übernehmen und die meisten Tankstellen haben auch heute schon Erdgas. Über Erdgasleitungen sollte man ja auch Wasserstoff transportieren können.

Eine interessante Stimme der Wissenschaft, die mit dem kontrastiert, dass die Industrie oder die Staaten ganz auf batteriebetriebene Kraftfahrzeuge setzen.

Das ist mir irgendwie unverständlich. Natürlich ist ein Elektroauto speziell in der Stadt ein großer Gewinn, weil man überhaupt keine Emission erzeugt. Aber das Elektroauto ist nicht extrem effizient vom Energieverbrauch her, weil es ja die schwere Last der Batterie mittragen muss und das kostet natürlich zusätzliche Energie zum Anschieben. Die Elektromobilität ist eine gute Sache, aber man soll nicht glauben, dass man 100 % des Verkehrs über elektrische Fahrzeuge abdecken kann. Das ist in meinen Augen eine Fehlentwicklung, zumal es Probleme mit den Rohstoffen geben wird. Es gibt jetzt erste Ansätze von Entsorgungsverfahren für Batterien. Aber im Grunde müsste man die Entsorgung bereits bei der Herstellung der Batterien berücksichtigen, sodass sie dann auch leicht entsorgt bzw. die Materialien wiederverwendet werden können. Das dauert sicher noch 5 bis 10 Jahre, bis die Wiederverwertung eine sinnvolle Kapazität erreicht.

Wenn wir schon jetzt auf Batterien als Säule unserer Energieversorgung setzen wollen, würden wir gigantische Gewichte und einen riesigen Rohstoffaufwand benötigen. Wenn ich es richtig verstehe, ist das eigentlich unrealistisch?

Weltweit alles elektrisch zu betreiben, würde wohl bald an unsere Grenzen stoßen, was die Verfügbarkeit von Materialien betrifft. Dann wird es ohne starke Einbindung von Russland sicherlich nicht gehen.

Bei vielen der grünen Technologien sind wir derzeit ganz wesentlich auf Russland, China oder die Demokratische Republik Kongo angewiesen, was gar nicht zu dem jetzt aktuellen Wunsch nach Unabhängigkeit bei der Energieversorgung passt.

Richtig, man sollte die Schätze, die uns die Erde zur Verfügung gestellt hat, eigentlich so sehen, dass sie der ganzen Menschheit gehören und dass jetzt nur zufällig einzelne Länder sie besitzen, weil diese das Recht zur Verwertung haben. Das Gas oder das Öl ist nicht per se russisch oder chinesisch. Denn diese Rohstoffe gehören der ganzen Menschheit und daher sollte man mit diesen Energieressourcen keine moralische Politik betreiben. Das ist ein völlig falscher Ansatz und schadet insbesondere Europa.

Es gibt auch die Idee, sich die grüne Energie woanders produzieren zu lassen: In den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Saudi-Arabien oder zuletzt in Kanada soll dann vor Ort mit dem gewonnenen „grünen“ Strom Wasserstoff erzeugt werden, der dann in die europäischen Industrieländer transportiert wird, um umweltfreundlich und effizient eingesetzt zu werden. Welche Entlastung Europas ist von diesen Initiativen kurz- und mittelfristig zu erhoffen?

Also kurzfristig überhaupt keine, weil das ja primär Projekte sind, die zeigen sollen, wie effizient man das machen kann. Das heißt, das dauert mehrere Jahre. Und dann kommt hinzu, dass die langen Transportwege teuer sind und man sich damit im Grunde in eine Preisfalle begibt, denn dieser grüne Wasserstoff wird immer teuer sein und damit zu einem sehr großen Wettbewerbsnachteil für Europa führen. Deutschland wäre im Grunde in einer sehr guten Position, wenn das Land seine Kernkraftwerke nicht abgeschaltet und stattdessen geplant hätte, den überflüssigen Strom, den es zu Unmengen aus Windkraft in den letzten Jahren an der Ostsee gegeben hat, in Wasserstoff umzuwandeln. Dann hätte Deutschland überhaupt keine Energieprobleme und müsste Wasserstoff nicht von Australien und Kanada zukaufen. Deutschland sollte selbst industrielle Methoden entwickeln, um aus Wind im großen Stil Wasserstoff zu erzeugen und die Kernkraftwerke wieder anschalten. Alles andere wird zu einer sehr starken Behinderung der deutschen Industrie führen.

Der Lebensstandard in Deutschland wird sinken, denn die Frage ist, ob die deutsche Industrie in einigen Jahren überhaupt noch wettbewerbsfähig sein wird.

Welche Möglichkeiten gibt es zur Nutzung und Erzeugung von grüner Energie in Südosteuropa? Ich denke z.B. an Nordmazedonien, wo die Sonne sehr stark scheint.

Ja, dort sollte man primär mit Solarzellen Strom generieren, das ist dort sehr gut möglich. Auch in Süditalien oder Südspanien ist der Wirkungsgrad eines Solarpanels mindestens doppelt so hoch wie bei uns. Das heißt, dort kostet der Strom genau die Hälfte. Das ist für uns ein Wettbewerbsnachteil. Weil wir Geld haben, bauen wir Unmengen von Solarpanels. Innerhalb Europas sollte es möglich sein, dass man den Strom in einem anderen Land erzeugt, wo er effizienter generiert werden kann. Wenn wir jetzt die doppelte Menge an Panelen kaufen müssen, verbrauchen wir ja sehr viele Rohstoffe. Die Erzeugung der Solarzellen erzeugt viel CO2, darüber redet komischerweise niemand. Sie bestehen vorwiegend aus Silizium, welches mit einem sehr energieaufwendigen Verfahren in hoher Reinheit für die Produktion von Solarzellen hergestellt wird. Man sollte auch daran denken, Materialien zu sparen, wenn man eine echte Energiewende will.

Das ist ja auch die Frage beim Transport von Wasserstoff. Es wird ganz ernsthaft darüber gesprochen, diesen von Australien und Kanada nach Europa zu bringen. Das ist doch auch von den Rohstoffen, die einzusetzen sind, sehr aufwendig?

Es ist auch schildbürgerlich, aus so großer Entfernung Flüssiggas nach Europa zu transportieren. Das verschmutzt die Meere und die Luft. Wenn man natürlich vorschreiben würde, dass die Schiffe mit Wasserstoffantrieb fahren müssen, wäre der Klimaeffekt gering, aber dann würde auch ziemlich viel von dem zu transportierenden Wasserstoff verbraucht werden.

Bei der Nutzung von Wasserstoff ist jetzt immer wieder die Rede von sogenannten „Hydrogen Valleys“, wo Produktion und Verwendung von Wasserstoff konzentriert werden. Wahrscheinlich zweckmäßigerweise in der Nähe von Schwerindustrie, wo eine Entlastung der Umwelt durch den Betrieb mit Wasserstoff viel bringen würde.

Ja, das macht sehr viel Sinn, weil es immer gut ist, wenn die Transportwege kurz sind. Man kann Wasserstoff im Grunde überall erzeugen, wo es Wind und Sonne gibt, vielleicht auch mit Erdwärme. Wasserstoff über weite Strecken zu transportieren, hat das Problem, dass praktisch kein Material komplett dicht ist und Wasserstoff aus allen Materialien heraus diffundiert. Daher ist es besser, wenn man alles räumlich konzentriert.

Im Nordburgenland soll rund um die Windparks mit ihrer oft überschüssigen Energieproduktion Wasserstoff im größeren Stil erzeugt werden. Es ist auch die Rede davon, Wasserstoff in die Gasnetze einzuspeisen. Hat das Zukunft? Sollte man darauf noch stärker setzen?

Ich glaube überall dort, wo man überflüssigen Strom hat, sollte man auf Wasserstoff setzen. Strom ist die wertvollste Energie, die wir haben. Bevor wir ihn einfach nur dumpen, ohne ihn benützt zu haben, sollte man Wasserstoff damit erzeugen. Es ist zu hoffen, dass die Wasserstoff-Erzeugung noch etwas effizienter wird. Aber bevor man den Strom einfach ungebraucht vernichtet, ist das die beste Methode. Und die Wasserstoffwirtschaft wird sicher in etwa 15 bis 20 Jahren 35 bis 40 % des gesamten Primär-Energiebedarfs abdecken.

Bis zu 40 % des gesamten Energiebedarfs? In etwa 20 Jahren? Egal wie er erzeugt worden ist?

Für die Energiewende braucht man vor allem viel Wasserstoff und man sollte auch den grauen Wasserstoff, soweit es nötig ist, verwenden. Und der wird dann ohnehin auslaufen, wenn die Förderungen für grünen Wasserstoff deutlich höher sind. Daher ist es gut, dass vorhandene Produktionswege, auch wenn sie noch nicht ganz klimaneutral sind, verwendet werden. Die Amerikaner sind da sehr pragmatisch und scheinbar deutlich klüger als die Europäer.

In welcher Weise organisiert und artikuliert sich die europäische Wissenschaft gegenüber der Politik?

Es gibt viele Kongresse über Wasserstoff und die europäische Wissenschaft sieht, wie wertvoll er ist und was man alles damit machen kann. Ich glaube jedoch, dass die europäische Politik sich schon längst davon verabschiedet hat, wirklich auf die Wissenschaft zu hören. Diesen Eindruck muss man leider bekommen, wenn man die Maßnahmen Europas in der Klimapolitik verfolgt.

Braucht es am Ende einen echten Energiekollaps im kommenden Winter, um hier ein Umdenken herbeizuführen?

Naja, das wäre traurig, aber wahrscheinlich braucht es schon dramatische Verhältnisse, damit die Leute aufwachen. Die europäische Politik hat begonnen, sich komplett von den

Wünschen und Bedürfnissen ihrer Bevölkerung zu verabschieden. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, die zu einer extremen Destabilisierung unseres politischen Systems führen könnte. Ich hoffe nicht, dass das wirklich so weiter geht.

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