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Sanktionsrecht der EU: Quo vadis?

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Schon die letzten Sanktionspakete der EU belegen, dass es nicht nur um Maßnahmen für weitere Wirtschaftssektoren und die Verlängerung der Sanktionslisten geht, sondern um neuartige Gebote und Verbote sowie die Verschärfung des Vollzugs. Gerade weil dieser bei den Mitgliedstaaten liegt, treten die Probleme mit zeitlicher Verzögerung auf und offenbaren gravierende Unterschiede. Neue Vorschläge der EU-Kommission sollen dabei helfen, Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Union nachhaltig einzudämmen.

Besonders im Sanktionsrecht zeigt sich, dass die Richtung in „Brüssel“ maßgeblich von den Mitgliedstaaten bestimmt wird. Zum einen kann dies auf den nationalen Rechtsrahmen zurückgeführt werden, zum anderen aber auch auf das Fehlen bestimmter Mindeststandards auf EU-Ebene. Auf dieser ist nun neuerlich einiges in Bewegung geraten. Das Recht der EU-Sanktionen steht derzeit vor einem entscheidenden Qualitätssprung und nicht nur vor einem weiteren „Paket“ in Bezug auf ein bestimmtes Regime. Es geht um ein horizontales, d.h. alle Sanktionsregime umfassendes und einschneidendes Instrument. Nachdem bereits seit Jahren neben sog. Wirtschaftssanktionen für bestimmte Sektoren (deswegen auch sektorale Sanktionen genannt) auch individuelle (sog. „targeted“ oder „smart sanctions“) Sanktionen verhängt werden – das sind Maßnahmen, die sich nicht gegen einen Staat, sondern gezielt gegen Einzelpersonen und Unternehmen oder Einrichtungen richten (z.B. Finanzsanktionen) – befindet sich das Sanktionsrecht der EU zurzeit in einem fundamentalen Umbruch.

Ein Schritt, um die Wirksamkeit und Einheitlichkeit der Durchführung der Russland-Sanktionen betreffend die Ukraine zu erhöhen, wurde Ende Juli durch das sog 7. Paket gesetzt. Zum einen werden die Gelisteten verpflichtet, Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats, die in ihrem Eigentum oder Besitz sind oder von ihnen gehalten oder kontrolliert werden, an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem sich diese Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen befinden, zu melden – in den meisten Fällen bis Ende August. Die Nichtbefolgung gilt als Verletzung des Umgehungsverbotes, was in Zukunft noch weitreichendere Folgen haben kann. Innerhalb von zwei Wochen danach hatten die Mitgliedstaaten die Kommission zu informieren. Zum anderen wurde die Meldepflicht Dritter verschärft, indem die Behörden über „verheimlichte“ Werte zu informieren sind. Vorgesehen ist nun auch ein Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und mit der Kommission.

Eine noch tiefgreifendere Änderung soll das Abschöpfen und die Einziehung von Vermögenswerten auch im Zusammenhang mit Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der EU bringen, und zwar nicht nur als Möglichkeit, sondern sogar als rechtliche Verpflichtung. Darauf zielen jedenfalls die ersten zwei Vorschläge der Kommission. Sie sind eines der Ergebnisse der seit Monaten auf Unionsebene tätigen Task Force „Freeze and Seize“. Da der Vollzug der Sanktionen bei den Mitgliedstaaten liegt und diese in ihrem Verwaltungs- und/oder Strafrecht unterschiedliche Definitionen und Rechtsfolgen für den Verstoß normieren, soll daher erstens ein entsprechendes Delikt auf Unionsebene geschaffen werden. Demgemäß hat der erste Vorschlag einen Beschluss des Rates zum Gegenstand, mit dem ein Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union als Straftat mit europäischer Dimension eingestuft werden soll. Technisch handelt es sich um die Qualifizierung als „Kriminalitätsbereich im Sinne von Artikel 83 Absatz 1 AEUV“.

Die ganze Brisanz des Vorschlags wird dann deutlich, wenn man die umfassenden Verbote, d.h. neben dem Bereitstellungsverbot und dem Umgehungsverbot insbesondere die neu eingeführte Meldepflicht der sanktionierten Personen (Einzelpersonen wie Einrichtungen) sowie die verschärfte Meldepflicht Dritter, die fast immer auch die indirekte Begehung einschließen, berücksichtigt. Zweitens unterbreitete die Kommission dem Rat einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten, mit dem eine höhere Wirksamkeit erreicht werden soll. Dazu dient erstens eine Ausweitung des Mandats der Vermögensabschöpfungsstellen, indem diese Vermögenswerte von Personen und Organisationen, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, rasch aufspüren und ermitteln können, einschließlich der Befugnis zur unverzüglichen Sicherstellung von Vermögenswerten bei Gefahr im Verzug. Zweitens zielt der Vorschlag auf die Ausweitung der Möglichkeiten zur Einziehung von Vermögenswerten ab. Drittens sieht der Vorschlag die Einrichtung von Vermögensverwaltungsstellen in allen Mitgliedstaaten vor. Diese Stellen sollen dafür sorgen, dass sichergestellte Vermögensgegenstände nicht an Wert verlieren und dass sichergestellte Vermögensgegenstände, die rasch an Wert verlieren oder deren Erhalt kostspielig ist, veräußert werden können.

Bis dieses erste Paket verabschiedet und teilweise von den Mitgliedstaaten auch umgesetzt sein wird, ist es noch ein langer Weg. Das legen schon die Vorgaben für die Entscheidungsfindung nahe, nämlich Einstimmigkeit im Rat und Zustimmung des Europäischen Parlaments. Letzteres wird neben einigen Mitgliedstaaten erwartungsgemäß auf eine möglichst strenge Regelung hinwirken. Zusammen mit diesen beiden Vorschlägen hat die Kommission in einer Mitteilung einen weiteren für die Durchsetzung des Sanktionsrechts zentralen Vorschlag angekündigt: eine Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union. Dieser Vorschlag baut auf dem Ratsbeschluss auf und folgt daher erst, wenn die Mitgliedstaaten sich auf den Ratsbeschluss geeinigt haben. Dieser dritte Vorschlag würde eine Reihe von strafrechtlichen Aspekten regeln und umfasst vor allem Delikte, wie die Mitwirkung an Handlungen, mit denen direkt oder indirekt versucht wird, die restriktiven Maßnahmen zu umgehen.

Abgesehen von diesen qualitativen, teils noch im Anfangsstadium befindlichen Entwicklungen lassen sich auch quantitative Veränderungen feststellen. So nimmt das Sanktionsrecht mit jedem neuen Paket an Komplexität zu. Dem versucht die Kommission mit einer stetig an Umfang und Zahl wachsenden Auslegungsbehelfen zu begegnen, insbesondere zu den Russland-Sanktionen, zu bestimmten Sektoren (z.B. Finanzen, Handel, Landwirtschaft und Energie) oder auch zu horizontalen Fragen (Umgehung, Durchführung von Verträgen, Zahlungswege usw.).

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