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EuGH-Urteil: Keine ÖBB-Haftung nach Schadensfall

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LGP vertritt seit mittlerweile beinahe 20 Jahren die Gesellschaften des ÖBB-Konzerns. In einem anhängigen Verfahren wurde zuletzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens angerufen. Das bahnbrechende EuGH-Urteil im internationalen Eisenbahnverkehr wurde nun im Juli 2022 veröffentlicht.

In der seit 2018 vor den österreichischen Gerichten anhängigen Rechtssache wurde die ÖBB-Infrastruktur AG als zuständige Infrastrukturbetreiberin von einem Eisenbahnverkehrsunternehmen, welches Lokomotiven auf den ÖBB-Schienen eingesetzt hat, geklagt. Grund dafür war eine Entgleisung in einem Tiroler Bahnhof im Jahr 2015, bei welcher Lokomotiven des Eisenbahnverkehrsunternehmens beschädigt worden waren. Für die Dauer der Reparatur musste das Unternehmen Ersatzlokomotiven anmieten und machte die ihr entstandenen Ersatzmietkosten bei der ÖBB geltend. Das Unternehmen argumentierte mit der Schadhaftigkeit der Schieneninfrastruktur und behauptete, diese hätte zur Entgleisung geführt. Neben der Frage der tatsächlichen Schadensverursachung war auch zu klären, ob sämtliche von der Klägerin geltend gemachte Ansprüche ersatzfähig sind.

Die ÖBB argumentierte mit der Anwendbarkeit des im internationalen Eisenbahnverkehr geltenden Übereinkommens (Anhang E zum COTIF einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr „CUI“). Bei der genannten Fahrt handelte es sich um eine internationale Fahrt, denn der aus Italien kommende Zug war über Österreich auf dem Weg nach Deutschland. Die ÖBB brachte vor, dass die Ersatzmietkosten reine Vermögensschäden seien und diese nach dem CUI nicht ersetzt werden können. Das Handelsgericht Wien folgte den Ausführungen der ÖBB, das Oberlandesgericht gab aber der Berufung des klagenden Eisenbahnverkehrsunternehmens Folge und ließ das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof zu. In diesem begehrte die ÖBB aufgrund der internationalen Relevanz der gegenständlichen Rechtsfrage die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und legte dem OGH dazu die Rechtsfragen an den EuGH vor.

Der EuGH hat in seinem im Sommer 2022 ergangenen Urteil klargestellt, dass die aufgrund eines Schadensfalles entstandenen Kosten für die ersatzweise Anmietung von Lokomotiven nicht von der Haftung der ÖBB als zuständige Infrastrukturbetreiberin umfasst sind. Damit bleibt das Eisenbahnverkehrsunternehmen, welches die Lokomotiven eingesetzt hat und für die Dauer ihrer Reparatur andere Lokomotiven ersatzweise anmieten musste, auf diesen Kosten für die Anmietung sitzen.

Neben der Frage, ob der EuGH überhaupt für die Auslegung des CUI zuständig sei, wurden die Richter in Luxemburg insbesondere gefragt, ob der Argumentation der ÖBB zu folgen sei und für die ersatzweise Anmietung von Lokomotiven angefallene Kosten in derartigen Schadensfällen dem Infrastrukturbetreiber anzulasten seien. Zusätzlich begehrte der Oberste Gerichtshof die Auskunft, ob die betroffenen Vertragsparteien ihre Haftung wirksam durch entsprechende Verträge erweitern können, selbst wenn es nach dem CUI zu einem Haftungsausschluss kommt. Der EuGH bejahte die erste Frage, erklärte sich für zuständig und verneinte die zweite Frage. Dementsprechend kann das Eisenbahnverkehrsunternehmen die für die ersatzweise Anmietung angefallenen Kosten während der Dauer der Reparatur der beschädigten Lokomotiven nicht dem Infrastrukturbetreiber anlasten. Der EuGH kam weiters zu dem Ergebnis, dass es den Vertragsparteien unbenommen bliebe, durch entsprechende vertragliche Vereinbarung hiervon abzuweichen und den Haftungsmaßstab entsprechend zu erweitern.

Der Akt geht nun an den Obersten Gerichtshof zurück. Dieser muss das vorliegende EuGH-Urteil umsetzen bzw. die Angelegenheit an das Handelsgericht Wien zur neuerlichen Entscheidung weiterleiten. Dort muss nun geklärt werden, ob die Parteien im gegenständlichen Fall den Haftungsmaßstab erweitern wollten, oder ob es beim Ausschluss der Haftung bleibt. Wir werden weiter darüber berichten.

Rechtlich beraten wird die ÖBB von den drei LGP Rechtsanwälten Dr. Julia Andras (Partnerin), Mag. Valentin Neuser (Partner) und DDr. Alexander Egger.

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