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Fremdenrecht und Arbeitsmarktzugang

für Vertriebene

Fremdenrecht und Arbeitsmarktzugang

Erstmals im März 2022 wurde in Folge des Ukraine-Konfliktes die Durchführung der Massenzustrom-RL 2001/55/EG auf europäischer Ebene beschlossen. Für anerkannte Vertriebene bedeutet dies einen vorübergehenden Aufenthaltstitel sowie den Zugang zur Krankenversicherung und zum heimischen Arbeitsmarkt. Wir beleuchten die relevanten fremden- und arbeitsrechtlichen Inhalte aus österreichischer Sicht und geben Praxistipps vor der Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses. 

Mit der Massenzustrom-Richtlinie 2001/55/EG des Rates (RL) wurden bereits im Jahr 2001 auf EU-Ebene – unter dem Eindruck der Folgen des Jugoslawien-Krieges – Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen aus Drittländern festgelegt. Durch die Umsetzung der RL ist ein vorübergehender Schutz von Drittstaatsangehörigen unabhängig von einem Flüchtlingsstatus möglich. 

Eine Aktivierung der RL scheiterte im Zuge des Syrien-Konfliktes 2015 noch am politischen Willen einiger Mitgliedstaaten. In Folge der militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine ab dem 24.2.2022 wurde erstmals ein Durchführungsbeschluss des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms gefasst. Der Durchführungsbeschluss gilt für ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24.2.2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten, für Staatenlose und Drittstaatsangehörige, die vor diesem Datum in der Ukraine internationalen oder gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und für deren Familienangehörige. Sonstigen Staatenlosen und Drittstaatsangehörigen, die sich in der Ukraine unbefristet aufgehalten haben, ist zumindest ein „angemessener Schutz“ zu gewähren. 

Status in Österreich 

Im Zuge der Durchführung der RL ist Österreich nun verpflichtet, für die gesamte Dauer des zu gewährenden Schutzes insbesondere folgende Mindestanforderungen zu erfüllen bzw. Rechte zu gewähren (Auswahl): 

  • Ein Aufenthaltstitel (Vertriebenen-Ausweis) 
  • Ausübung einer abhängigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit, Bildungsangebote, Fortbildungen und praktische Arbeitserfahrungen 
  • Arbeitsentgelt, soziale Sicherheit im Rahmen der Erwerbstätigkeit und Beschäftigungsbedingungen 
  • Angemessene Unterkunft und Zugang zum öffentlichen Bildungssystem 
  • „Notwendige Hilfe“ zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie medizinische Not- und Krankenversorgung 
  • Psychologische Unterstützung etc. für Vertriebene mit besonderen Bedürfnissen
  • Vertretung von Minderjährigen und Familienzusammenführung 
  • Förmlichkeiten betreffend allfällig erforderliche Visa sind auf das Mindestmaß zu begrenzen, allfällige Kosten zu minimieren oder zu erlassen. 

Österreich hat auf Basis dieser Vorgaben und des § 62 AsylG die so genannte VertriebenenVO erlassen. Der im Durchführungsbeschluss genannte Personenkreis erhält ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. Jene, die vor dem 24.2.2022 die Ukraine verlassen haben, sind jedoch auf die Stellung eines Asylantrags angewiesen. Der Ausweis für Vertriebene in Form einer „Blauen Karte“ bildet zugleich einen Aufenthaltstitel und ein Mittel zum Zugang zum Arbeitsmarkt. Eine Registrierung reicht für den Erhalt, ein Asylantrag ist dazu nicht erforderlich. Fazit: Weit über 200.000 Menschen sind bislang nach oder durch Österreich geflohen – Ende April 2022 hatten sich 64.000 von ihnen in Österreich als Vertriebene registriert, um einen solchen Ausweis beantragen zu können. 

Das Aufenthaltsrecht der Vertriebenen gilt derzeit ab der Einreise bis 3.3.2023 und verlängert sich, falls es nicht zuvor für beendet erklärt wird, automatisch um jeweils sechs Monate, höchstens jedoch um ein Jahr. Durch eine weitere Verordnung vom 11.3.2022, nach der „Ukrainische Staatsangehörige und weitere Personen, die ab dem 24. Februar 2022 wegen der kriegerischen Ereignisse in der Ukraine vorübergehend in Österreich aufgenommen werden, sofern sie nicht bereits nach einer anderen Bestimmung dieser Verordnung in die Krankenversicherung einbezogen sind“, ist die Öffnung der Krankenversorgung für ukrainische Vertriebene erfolgt. 

Arbeitsmarktzugang 

Für die Dauer des vorübergehenden Schutzes ist auch für Vertriebene der volle Arbeitsmarktzugang gegeben, egal ob sie einer angestellten oder selbstständigen Tätigkeit nachgehen wollen. Bildungsangebote für Erwachsene und berufliche Fortbildung sind ebenso verfügbar, wobei die allgemeinen Rechtsvorschriften betreffend Arbeitsentgelt und soziale Sicherheit durch die Beschäftigung sowie sonstige Beschäftigungsbedingungen zu beachten sind. Im Wege eines an den Vorstand des AMS gerichteten Erlasses des Bundesministeriums für Arbeit (BMA) vom 11.3.2022 wurden dafür relevante Kriterien festgelegt bzw. konkretisiert. 

Der Vertriebenenausweis stellt gem. § 62 Abs 1 AsylG als Aufenthaltstitel die Basis für die Beschäftigung dar. Für Personen im Besitz eines solchen Ausweises sind auf Antrag (und natürlich bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen) in allen Branchen Beschäftigungsbewilligungen zu erteilen, und zwar auch über die Bundeshöchstzahl gemäß § 12a Abs 1 AuslBG hinaus. Von der Arbeitsmarktprüfung bzw. Ersatzkrafteinstellung wird abgesehen. Aus Sicht des BMA liegt es im öffentlichen Interesse, Vertriebenen weitestgehend Möglichkeiten zu eröffnen, durch eigene Erwerbstätigkeit für ihren Unterhalt aufzukommen, zumal in vielen Bereichen (Fach-)Arbeitskräfte dringend gesucht werden. In diesem Sinne stehen also der Bewilligungserteilung für Vertriebene auch keine „wichtigen öffentlichen und gesamtwirtschaftlichen Interessen“ entgegen. Freilich gelten die übrigen allgemeinen Bedingungen für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung im Sinne des § 4 Abs 1 AuslBG sehr wohl weiter, sodass insbesondere die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, das „Wohlverhalten“ hinsichtlich unbewilligter Beschäftigungen binnen Jahresfrist vor Antragstellung und die Verständigung des Betriebsrates vor Antragstellung vorliegen müssen. Der Bereich der Arbeitskräfteüberlassung ist von der Bewilligungserteilung ausgenommen. 

Der Antrag auf Beschäftigungsbewilligung ist vom Arbeitgeber persönlich, postalisch oder auch per E-Mail und jedenfalls unter Vorlage einer beidseitigen Kopie des Vertriebenenausweises an der regionalen Geschäftsstelle des AMS zu stellen. Die Beschäftigung darf bekanntlich vor Erteilung der Beschäftigungsbewilligung nicht begonnen worden sein, sondern muss nach ihrer Erteilung – bei sonstigem Erlöschen – binnen sechs Wochen aufgenommen werden. Für österreichische Betriebe könnte der Ausfall bisheriger ukrainischer Saisonkräfte, insbesondere im Bereich der Erntehelfer, durch die Beschäftigung Vertriebener substituiert werden. In den Branchen Tourismus sowie Land- und Forstwirtschaft können sogar außerhalb der Saisonkontingente Beschäftigungsbewilligungen erteilt werden. 

Praktische Fragen 

Auf Basis des vorübergehenden Schutzes gemäß der RL erscheint angesichts der oben dargestellten Verlängerungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene eine maximale Schutzdauer und damit Dienstvertragsdauer bis längstens 3.3.2025 denkbar. Vorerst werden sich die Befristungen der Beschäftigungsbewilligungen am bislang feststehenden Datum 3.3.2023 orientieren. 

Zu bedenken ist bei der Vertragsgestaltung, dass die Befristung eines Dienstvertrags eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich ausschließt und eine Kündigung nur bei Existenz einer vorab geschlossenen, wirksamen Kündigungsvereinbarung möglich ist. Die Befristung hat aus Sicht des Dienstgebers andererseits den Vorteil, dass ein auf Dauer der Beschäftigungsbewilligung befristeter Arbeitsvertrag automatisch mit dem Ablauf derselben endet. Wir stehen Ihnen in allen Umsetzungsfragen gerne beratend zur Seite. 


AUTOREN:

Mag. Valentin Neuser, Rechtsanwalt und Managing Partner bei LGP
Mag. Piroska Vargha, Rechtsanwältin und Head of Employment and Corporate Litigation bei LGP

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