Force Majeure
Vertragsgestaltung in unsicheren Zeiten

Der aktuelle Krieg in der Ukraine wirft für zahlreiche international tätige Unternehmen schwierige Rechtsfragen auf. Was passiert, wenn man die Verträge überhaupt nicht oder zumindest nicht rechtzeitig erfüllen kann? Gibt es ein Recht, den Vertrag zu beenden? Drohen Schadenersatzansprüche? Was muss man allgemein in einer solchen Situation beachten?
Der französische Begriff der „Force Majeure“ beschreibt laut Frank J. Bernardi, einem renommierten deutschen Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, grundsätzlich „nur“ jene Umstände, die im Deutschen als „höhere Gewalt“ und im internationalen Handel als „Act of God“ oder auch „Hardship“ bezeichnet werden. Die internationale Handelskammer versteht unter diesem Begriff hingegen ein Ereignis, das eine Partei daran hindert, eine oder mehrere ihrer vertraglichen Verpflichtungen aus dem Vertrag zu erfüllen.
Allerdings muss es sich dabei um ein Hindernis handeln, das außerhalb der der Partei zumutbaren Kontrolle liegt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in zumutbarer Weise nicht vorhergesehen werden konnte und die Auswirkungen des Hindernisses von der betroffenen Partei nicht in zumutbarer Weise vermieden oder überwunden hätten werden können.
Auch das UN-Kaufrecht (Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf – CISG) definiert „höhere Gewalt“ als einen außerhalb des Einflussbereichs einer Vertragspartei liegenden Hinderungsgrund, wobei „vernünftigerweise“ von der Partei nicht erwartet werden konnte, „den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.“ (Art 79 CISG).
Das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) spricht zwar nicht von höherer Gewalt als solche, sondern vom zufälligen Untergang einer Sache (§1447 ABGB). Die österreichische Rechtsprechung hat allerdings den Begriff „höhere Gewalt“ anerkannt und als „ein von außen her auf den Betrieb einwirkendes außergewöhnliches Ereignis, das nicht in einer gewissen Häufigkeit und Regelmäßigkeit vorkommt und zu erwarten ist und durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann“, definiert.
Allgemein anerkannt ist jedoch, dass nicht nur Naturkatastrophen (Wirbelstürme, Überschwemmungen oder Erdbeben), sondern auch akute Kriegsgefahr sowie bürgerkriegsähnliche Zustände als solche Ereignisse gelten. Dies muss umso mehr für einen militärischen Konflikt zutreffen, wie er derzeit in der Ukraine besteht.
RechtlicheFolgen bei höherer Gewalt
Im internationalen Handelsverkehr stellt die Nichterfüllung der vertraglichen Verbindlichkeit wegen eines Ereignisses höherer Gewalt keine Vertragsverletzung dar. Vielmehr werden die vertraglichen Pflichten – in aller Regel während der Dauer dieses Ereignisses – ausgesetzt. Der Schuldner muss daher nicht leisten und der Gläubiger darf die Leistung nicht fordern. Auch die österreichische Rechtslage sieht dies vor: Der Eintritt eines Ereignisses höherer Gewalt führt dazu, dass die Verbindlichkeiten der Vertragsparteien gegenseitig aufgehoben werden – das heißt, dass der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit wird und der Gläubiger nicht auf Erfüllung des Vertrags bestehen kann. Es liegt auch keine schuldhafte Vertragsverletzung durch die nicht-erfüllende Partei vor, weswegen auch kein Schadenersatz geltend gemacht werden kann. Diese Folgen treten allerdings nur dann ein, wenn die Parteien keine besonderen Vertragsklauseln vereinbart haben.
Vertragliche Regelungen
Regelmäßig sehen Vertragsparteien jedoch spezielle Vertragsbestimmungen vor, die den Fall der „Force Majeure“ regeln. Die gesetzlichen Folgen höherer Gewalt werden dann individualvertraglich abgeändert. Dies ist möglich, weil es sich bei den diesbezüglichen gesetzlichen Regeln – sowohl auf internationaler als auch nationaler österreichischer Ebene um dispositive, d.h. abdingbare Bestimmungen handelt. Den Vertragsparteien steht es somit zu, die Rechtsfolgen einer Situation höherer Gewalt so zu regeln, wie sie dies möchten. Insbesondere bei Verträgen mit internationalem Bezug ist es überaus ratsam, eine solche Klausel („Force Majeure“- oder „Hardship“-Klausel) zu vereinbaren. Die internationale Handelskammer stellt in diesem Zusammenhang auch vorformulierte Standardklauseln zur Verfügung, die aber für den Einzelfall noch sachgerecht angepasst werden müssen.
Gängige Praxis ist, dass vertraglich auch eine allfällige Unmöglichkeit der Erfüllung für Dritte geregelt wird – dies ist insbesondere im Zusammenhang mit Lieferketten relevant. Nämlich dann, wenn die Unmöglichkeit der Erfüllung des Vertrags nicht bei den Vertragsparteien selbst, sondern bei einem Subunternehmer einer der Parteien eintritt. Denn ein Fall der höheren Gewalt kann nicht nur die Vertragsparteien betreffen, sondern Dritte, die in die Vertragserfüllung eingebunden sind. Dabei ist auch regelmäßig eine Vereinbarung sinnvoll, dass die von der Unmöglichkeit der Erfüllung betroffene Vertragspartei diesen Umstand der anderen Partei unverzüglich mitzuteilen hat. Auch allfällige Kündigungsmöglichkeiten können die Parteien etwa für den Fall vorsehen, dass das eingetretene Ereignis eine bestimmte Dauer überschreitet.
Fazit
Es zeigt sich, dass die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen zur „Force Majeure“ kein totes Recht sind. Instabile Situationen – die sowohl während der Corona-Pandemie und nun auch im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise häufiger geworden sind – führen gerade im internationalen Kontext zu einer rechtlichen Unsicherheit, die am ehesten über vertragliche Regelungen aufgefangen werden können. Es ist künftig zu erwarten, dass Vertragsparteien vor dem Hintergrund der krisenhaften Erlebnisse der letzten Zeit bei Vertragsverhandlungen die Fälle der höheren Gewalt deutlich intensiver diskutieren werden als bislang, um die möglichen wirtschaftlichen Nachteile und rechtlichen Unsicherheiten möglichst gut abzufedern.
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