Streitbeilegung vor Gerichten in der Krise

Kaum ein juristisches Arbeitsfeld blieb von Covid-19 verschont, auch die Beilegung privatrechtlicher Streitigkeiten bildet hier keine Ausnahme. Jedoch sind die verschiedenen Verfahrensarten in unterschiedlicher Art betroffen.
Mündliche Verhandlungen vor staatlichen Gerichten in Österreich wurden seit Mitte März bis Ende April 2020 weitgehend abberaumt. In diesem Zeitraum wurden nur solche Tagsatzungen abgehalten, die „zur Aufrechterhaltung der geordneten Rechtspflege unbedingt erforderlich“ waren. Die meisten privatrechtlichen Streitigkeiten fielen nach Ansicht der Gerichte nicht darunter. Da das österreichische Zivilprozessrecht die Mündlichkeit stark betont, bedeutete das in der Praxis, dass in der Zeit zwischen Mitte März und Ende April 2020 kaum Verfahrensschritte in Zivilprozessen gesetzt wurden. Durch das Fristenmoratorium mussten auch keine schriftlichen Eingaben gemacht werden, auch die Verjährung war unter bestimmten Voraussetzungen gehemmt. Ab Mai 2020 wurde der Verhandlungsbetrieb wieder aufgenommen. Da die Gerichte jedoch nun vor der Herausforderung stehen, die abberaumten Verhandlungen durchzuführen und gleichzeitig die neuen Fälle zu bearbeiten, wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis wieder Normalbetrieb herrscht. Das Einbringen von Klagen war ja weiterhin gestattet.
Um Verfahren trotz Krise fortzuführen, dabei jedoch den persönlichen Kontakt – und damit die Gefahr zur Verbreitung des Virus – zu vermeiden und dennoch dem Gebot der Mündlichkeit Genüge zu tun, rückte die Möglichkeit zur Abhaltung von Tagsatzungen über Videokonferenz in den Fokus der Diskussion. Obwohl die Gerichte weithin über die dafür notwendige technische Ausstattung verfügen, waren und sind solche Online-Verhandlungen eher selten. Grund dafür ist, dass das Gesetz die Durchführung einer Verhandlung per Video von der Zustimmung aller Parteien abhängig macht. Aufgrund verschiedenster (teils realer, teils vermeintlicher) Bedenken erteilen die Parteien und ihre Vertreter diese Zustimmung eher selten. Vor den staatlichen Gerichten sorgte die Krise daher in vielen Fällen für einen vorübergehenden Stillstand.
Differenzierter war (und ist) die Situation in schiedsgerichtlichen Verfahren. Dort gibt es keine einheitlichen Regelungen bezüglich Covid-19, da Schiedsverfahren verschiedenen Rechtsordnungen und Regelwerken unterliegen. Überdies weisen sie regelmäßig grenzüberschreitende Bezüge auf: Sowohl die Parteien, als auch die Schiedsrichter kommen oftmals aus unterschiedlichen Staaten, auch der Schiedsort, das anwendbare Recht und eine allfällige Schiedsinstitution können weitere internationale Elemente einbringen. Sowohl die Schiedsinstitutionen als auch die Schiedsgerichte müssen daher Regelungen aus verschiedenen Staaten in ihre Entscheidungen zum Umgang mit Covid-19 miteinbeziehen.
Bereits vor Covid-19 war es in internationalen Schiedsverfahren üblich, das persönliche Zusammenkommen aller Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung auf das Notwendigste zu reduzieren. Aufgrund der (teils beträchtlichen) Distanzen der verschiedenen Beteiligten zueinander wäre etwa das persönliche Treffen zur Erarbeitung des Prozessprogramms schon bisher ineffizient gewesen. Deshalb werden etwa die „Case Management Conferences“ oder andere Diskussionen zwischen Parteien und Schiedsgericht über bloß prozessuale Fragen standardmäßig per Telefonkonferenz abgehalten. Auch Online-Hearings sind schon länger ein Thema in der internationalen Schiedspraxis.
Aber auch Schiedsgerichte waren in Bezug auf Online-Hearings (ebenso wie staatliche Gerichte) bisher noch zurückhaltend, diese ohne die Zustimmung aller Parteien anzuordnen. Sollten jedoch die Reisebeschränkungen noch über längere Zeit andauern, wird sich diese Haltung wohl mittelfristig ändern. Im Gegensatz zu staatlichen Gerichten sind Schiedsgerichte in der Verfahrensgestaltung nämlich weitgehend frei, solange nur die Grundsätze eines fairen Verfahrens eingehalten werden. Dennoch, viele Schiedsordnungen, auch in Österreich, sehen eine „mündliche“ Verhandlung in manchen Fällen zwingend vor. Mündlich bedeutet aber nicht gleich „persönlich“, es bleibt also ein Auslegungsspielraum, der genützt werden kann um mögliche Verzögerungstaktiken einer Partei hintanzuhalten.
Andererseits ist gerade bei der Feststellung der Glaubwürdigkeit von Zeugen eine persönliche Einvernahme durch das Schiedsgericht oftmals schwer zu ersetzen. Daher kann nicht jede Weigerung zur Abhaltung eines Online-Hearing als Guerilla-Taktik gewertet werden. In manche Konstellationen wird auch nur eine persönliche Begegnung zwischen allen Beteiligten die Fairness des Verfahrens gewährleisten.
Ähnlich ist der Umgang mit Fristen vor Schiedsgerichten im Lichte von Covid-19: Das breite Ermessen erlaubt den Schiedsgerichten im Einzelfall zu entscheiden, ob und wie Fristen unterbrochen oder verlängert werden. Da jedoch auch im Schiedsverfahren die Einschränkungen wegen Covid-19 das Arbeiten der Parteienvertreter zumindest verzögern – etwa in Bezug auf Zugang zu Bibliotheken oder die Möglichkeit zur Übermittlung von Originaldokumenten durch die Mandanten – ist in den meisten Fällen eine entsprechende Fristverlängerung durch das Schiedsgericht geboten. Dies gilt aber freilich nur in Bezug auf Fristen, die vor Ausbruch der Corona-Krise festgesetzt wurden. Für danach festgelegte Fristen ist es Sache der Parteien, die Verzögerungen durch Covid-19 bei der Case Management Conference einzuplanen.
Während der Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 war LGP sowohl in prozessualen Besprechungen in Schiedsverfahren über Telefonkonferenz als auch bei Verhandlungen vor staatlichen Gerichten per Videokonferenz beteiligt. Auch die einzelnen Vor- und Nachteile von Schiedsverhandlungen über Videokonferenz haben wir in verschiedenen Fallkonstellationen erörtert.
Aus unserer Sicht hat diese Form der Verhandlung jedenfalls Potential, auch wenn sie nicht für jeden Fall passt. Während wir bisher auch bei Zeugenbefragungen über Video gute Erfahrungen gemacht haben, gibt es sehr wohl Fälle, in denen die persönliche Interaktion zwischen (Schieds-) Gericht und Zeugen nicht ersetzt werden kann. Wie schon in der Schiedsgerichtsbarkeit seit langem gehandhabt, könnte aber insbesondere bei vorbereitenden Tagsatzungen überlegt werden, diese auch nach der Krise über Fernkommunikationsmittel abzuhalten.
Autor:
- Mag. Michael Komuczky, Rechtsanwalt bei LANSKY, GANZGER + partner